„Nicht, weil es einfach ist. Sondern weil es schwer ist.“

John F. Kennedy hält 1962 die berühmteste Rede der Weltraumgeschichte. Er kündigt an, dass die USA bis ans Ende des Jahrzehnts einen Amerikaner auf den Mond bringen werden, und zeichnet ein Bild der Raumfahrt als große Menschheitsmission. Die Rede ist gespickt mit Gänsehaut-Momenten. Hat die Weltraumrede heute noch Bedeutung? Wir haben den deutschen Astronauten Reinhold Ewald gefragt.

Ewald Quelle: NASA

Dr. Ewald, US-Präsident John F. Kennedy sagte zu Beginn des Apollo-Programms in einer historischen Rede: „Wir haben uns den Mond ausgesucht, nicht weil es einfach ist, sondern weil es schwer ist.“ Das klang nach Herausforderung, nach Abenteuer. Hat er damit auch den Nerv der Astronauten getroffen?

Astronauten sind zunächst einmal keine Abenteurer. Sie suchen nicht das Risiko, zumindest ist das meine eigene Erfahrung. Als ich mich für den Astronautenberuf beworben habe, war mein Flug noch weit weg. Da war der Weg dorthin spannend: das Training, die Experimente, aber auch der Spaß an der Herausforderung, das stimmt. All das hat mich während meiner Trainingszeit motiviert.

Und als es schließlich losging? Wurde Ihnen dann die Monstrosität des Vorhabens bewusst?

Wenn man vor der Rakete steht und dieses fauchende Ungetüm sieht – selbst die Sojus ist ja 55 Meter hoch –, ist das schon beeindruckend. Aber da geht man nicht mehr zurück. Da ist man neugierig darauf, was im Weltall alles auf einen wartet.

Kennedy hat seine Rede damals an der Rice University allerdings nicht für Astronauten gehalten. Er wollte die breite Masse begeistern. Was macht die Rede aus heutiger Sicht so interessant?

Dass da jemand eine Vision voranbrachte, auch wenn er diese Idee sicherlich nicht aus Interesse an der Erforschung des Mondgesteins entwickelt hatte. Doch Kennedy sah – vielleicht durch seine Berater, vielleicht durch seine eigene Intuition – das Apollo-Projekt als eine Möglichkeit, die Nation zu einen und hinter einem lohnenden Ziel zu versammeln.

Und eine große Vision braucht eine große Rede?

Das ist so bei Visionen. Bei der Frage, ob man Menschen hinter einer Vision versammeln kann, entscheidet nicht nur die Größe des Wurfs, sondern auch dessen Präsentation – aber auch die Fähigkeit, das Vorhaben umzusetzen. Als amerikanischer Präsident hatte Kennedy die Größe, ein neues Kapitel aufzuschlagen und die USA zur Weltraumnation zu machen. Und er hatte, zumindest in den Anfangsjahren, auch die Möglichkeit, so etwas finanziell durchzusetzen.

Ist Kennedys Rede für Sie heute noch von Bedeutung?

Ja, ich erwähne die Rede beispielsweise in meinen Vorlesungen – als Lehrstück, wie wichtig bei solchen Projekten die passende Wortwahl, der passende Zeitpunkt und das passende Charisma sind. Und als Beispiel dafür, dass solch ein rhetorisches Ausrufezeichen durch die Kleinmütigkeit nachfolgender Administrationen nicht mehr wegdiskutiert werden kann. Die direkt Kennedy folgenden Präsidenten sind ja alle eingestiegen, sonst wäre Apollo nicht zustande gekommen.

Fehlen in der heutigen Raumfahrt entsprechende Visionen und Visionäre – insbesondere in Europa?

In Europa sind wir zwar sehr gut aufgestellt bei Navigations- oder Erdbeobachtungssatelliten und haben mit der Ariane die nötige Rakete für deren Starts. Beim bemannten Raumflug müssen wir aber immer mit internationalen Partnern kooperieren. Würde Europa in diesem Bereich eine eigene Vision verkünden, wäre das ein bisschen unglaubwürdig – sofern nicht auch ausreichend eigene Mittel bereitgestellt würden.

Kennedy Quelle: NASA

Ende des Jahres wollen die ESA-Mitgliedsstaaten entscheiden, ob sie sich an Lunar Orbital Platform-Gateway beteiligen, einer geplanten internationalen Raumstation in Mondnähe. Trotzdem ist von Begeisterung wenig zu spüren.

Manchmal sind die Europäer vielleicht ein bisschen kühler als die Amerikaner und kommen trotzdem ans Ziel. Und ich habe zumindest nicht den Eindruck, dass es viel Gegenwind aus der Öffentlichkeit oder der veröffentlichten Meinung gibt. Das ist immerhin etwas.

Es ist aber meilenweit entfernt von der Euphorie nach Kennedys Rede.

Sobald eine Mission unterwegs ist, folgen auch Faszination und Begeisterung. Nehmen Sie „Rosetta“, die europäische Kometenmission. Als ihre Sonde im Jahr 2014 als erste auf einer Kometenoberfläche gelandet ist, fieberten weltweit Menschen mit.

Trotzdem: Braucht es eine neue Ruck-Rede? Oder wie kann stärkere Begeisterung für die Raumfahrt geweckt werden?

Durch spannende Wissenschaft. Wobei sich der Rahmen für die Vermittlung von Wissenschaft verändert hat: Man kann heute nicht mehr darauf vertrauen, dass die Menschen am Mittwochabend nach der Tagesschau allesamt eine Wissenschaftssendung anschauen. Das hat die Raumfahrt begriffen, das hat die Wissenschaft begriffen. Das muss heute anders gehen.

Wie genau?

Zum Beispiel durch Vermittler wie Alexander Gerst oder die anderen Astronauten der ESA. Wenn diese Menschen in den sozialen Netzwerken von ihren Flügen berichten, sind sie die besten Werber für die Raumfahrt. Solch eine Möglichkeit hatten wir im Zeitalter von Fernsehen, Radio und Zeitungen nicht. Zum Glück ist da rechtzeitig eine neue Generation Astronauten herangereift, die weiß, wie sie mit ihren Berichten begeistern kann. Der nächste konsequente Schritt wäre nun, mit Partnern zum Mond zurückzukehren und auf solch einem Flug auch einen europäischen Astronauten mit deutschem Pass dabeizuhaben.

Ewald Quelle: Picture Alliance / dpa

Was macht – aus Sicht eines Astronauten – eigentlich die Faszination des Mondes aus?

Seine Nähe, zumindest in kosmischen Maßstäben. Auf der Raumstation, 400 Kilometer über der Erde, haben wir inzwischen gelernt, wie sich die Präsenz des Menschen im Weltall sicherstellen lässt. Zu keiner Zeit haben sich Entdecker aber mit dem Erreichten zufriedengegeben. Sie wollten immer ein Stück weiter: von der Küste ins Landesinnere, zum nächsten Kontinent, zum Südpol. Genau dieser Aspekt des Abenteuers und der Exploration führt uns zurück zum Mond. Und natürlich gibt es auch unerledigte Wissenschaft.

Zum Beispiel?

Es geht um die Frage, wie der Mond entstanden ist. Es geht darum, wie Menschen auf der Mondoberfläche leben können und wie sich dafür zum Beispiel Wasser gewinnen lässt. Und es geht darum, auf der Rückseite des Mondes, die sich nie der Erde zuwendet, Astronomie zu betreiben – ungestört von irdischen Licht- und Funksignalen.

Künftig wollen außer der NASA auch private Firmen in die Tiefen des Alls fliegen. Würden Sie – mit dem gleichen Vertrauen wie damals in die Sojus – auch bereitwillig in eine neue Rakete privater Betreiber steigen?

Das klingt jetzt ein bisschen platt, wenn ich sage: nein. Zumindest würde ich nicht in ein Raumfahrzeug steigen, das mehrere Entwicklungsstufen übersprungen hat, nicht ausreichend getestet wurde oder nur starten soll, weil die Politik vor dem Ende einer Legislaturperiode noch einen Erfolg braucht. Da fangen dann auch Astronauten an zu grübeln. So etwas sollte man nicht übers Knie brechen.

Aber wenn Ihnen jemand eine bewährte Rakete hinstellt und sagt: „Na, Herr Ewald, wollen Sie nicht zum Mond fliegen?“ – dann würden Sie schon einsteigen, oder?

Ich würde nicht Nein sagen, auf keinen Fall. Aber mir wäre bewusst, dass das eine Vergeudung von Crewzeit wäre, weil ich am Ende meiner Karriere einfach nicht mehr das Training habe wie meine aktiven Kollegen. Ich würde da eher wie ein Tourist mitfliegen, und das wäre für die kostbare Zeit dann doch zu schade. Daher wäre ich nicht böse, wenn andere, besser trainierte und mit wissenschaftlichen Aufgaben besser vertraute Kollegen meinen Platz einnehmen würden.

Zur Person:

Reinhold Ewald war zwölf Jahre alt, als die ersten Amerikaner auf dem Mond landeten. Im Februar 1997 flog der gebürtige Mönchengladbacher selbst ins All – zwar nicht zum Mond, aber mit einer Sojus-Rakete zur russischen Raumstation Mir, etwa 400 Kilometer über der Erdoberfläche. Nach seiner Karriere bei der europäischen Raumfahrtagentur ESA arbeitet der promovierte Physiker heute als Professor für Astronautik und Raumstationen an der Universität Stuttgart.